Sieverding, Katharina Die Sonne um Mitternacht schauen 196/III, 1-28, 1973 // 2AB, 5AB, 6AB, 8AB, 12AB, 14AB, 25AB
14-teilig, Farbfotografie, Acryl, Stahlrahmen je 190 x 125 cm , gesamt: 380 x 875 cm Courtesy: Katharina Sieverding / © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Foto: © Klaus Mettig / VG Bild-Kunst, Bonn // Installationsansicht der Ausstellung: Katharina Sieverding "KUNST UND KAPITAL - Werke von 1967 bis 2017", Bundeskunsthalle Bonn 11.03.2017 – 16.07.2017

Text zum Werk

Peter Moritz Pickshaus im Gespräch mit Katharina Sieverding, 2019

 

Pickshaus: Was heißt es: "Die Sonne um Mitternacht schauen"?

Sieverding: Das ist eine Übung für Eingeweihte1: Du imaginierst die Sonne durch die Erde hindurch, sodass sie komplementär erscheint. Für mich ist das ein starkes Bild.

"Du sollst nicht gegen die Sonne reden". Man guckt auf die Sonne im Bezug auf die Erde. Du trägst Verantwortung für die Erde. Das sind geistige Übungen. Das hat nichts mit Naturwissenschaften und digitalen Codes zu tun.

Pickshaus: ... und bei der NASA?

Sieverding: Die NASA kann mit ihren Sonden das Sonnenmysterium nicht erfassen. Wo Plasma und Radioaktiviät herrschen, wird nie irgendwas oder irgendwer landen können.

Ansonsten gibt es wenig Respekt vor kosmischen Territorien, deren Kolonialisierung steht an. Das wird mit der Sonne nicht passieren.

Pickshaus: Kannst Du die chemisch-animistische Dimension der Dunkelkammer-Arbeit in Worte fassen?

Sieverding: Das ist die Einschreibung der Außenwelt in meine Bildwelt. Bei der Schließung der Düsseldorfer Kunstakademie 1969 habe ich das erste Mal Fotos selbst entwickelt. Auf Agfa P 90. Das war ein ganz dünnes Fotopapier. Das tollste Erlebnis: In der Dunkelkammer kommt Dir aus dem Entwickler blitzschnell etwas entgegen. Du bist nicht Macherin, sondern Empfangende. Dieser Vorgang von Transformation: Das ist die Sonne um Mitternacht.

 

1 "Lernt man die astrale Materie durchschauen, sieht man die Sonne um Mitternacht: 1. Einweihung [...]." Steiner, Rudolf: Die Mysterien der Druiden und Drotten, Berlin, 30. September 1904 ( Notizen), in: Steiner, Rudolf: Die Tempellegende un die Goldenen Legende als symbolischer Ausdruck vergangener und zukünftiger Entwicklungsgeheimnisse des Menschen, Dornach 1991, S. 46.

 

Quelle: Peter Moritz Pickshaus/Katharina Sieverding: "q&a" (Interview), in: Bärbel Schäfer: Katharina Sieverding Am Falschen Ort II, Dachau 2019, S. 98f.

Zur Person

geboren 1944 in Prag
lebt und arbeitet in Düsseldorf

 

Katharina Sieverding studierte ab 1963 zunächst an der Hochschule für Gestaltung in Hamburg bevor sie 1964 an die Düsseldorfer Kunstakademie als Assistentin und Schülerin des Bühnenbildners Theo Otto wechselte. Im Anschluss wechselte sie erneut im Jahr 1967 in die Klasse von Joseph Beuys und schloss dort als Meisterschülerin bei Beuys ihr Studium im Jahr 1972 ab. 
Mit ihren großformatigen Fotografien, die Katharina Sieverding seit 1975 herstellt,  wurde die Künstlerin berühmt und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten der zeitgenössischen Fotografie. Ihre seriellen Fotofolgen, die mit Überblendungen arbeiten und immer wieder Selbstporträts zeigen, sind sowohl Ausdruck von Reflexionen zur eigenen Identität als auch Stellungnahme zu politisch-gesellschaftlichen Fragen.

Die Künstlerin legt in ihren Werken die maßgeblichen Konflikte der Gegenwart offen und übt Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Zuständen, die sie immer in der Sprache der Kunst formuliert, geriet mit Bildern wie „Schlachtfeld Deutschland“ oder „Deutschland wird deutscher“ gar zum Skandal.

Sieverdings Werk wurde u.a. mit dem Preis des Kunstfonds (1981), dem Deutschen Kritikerpreis (1994), dem Kaiserring der Stadt Goslar (2004) und dem Käthe-Kollwitz-Preis (2017) ausgezeichnet.

Einzelausstellungen fanden u.a. statt  Museum Folkswang Essen (1977), Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach (1984), Nationalgalerie Berlin (1992), Deutscher Pavilion Biennale Venedig (1997), Stedelijk Museum Amsterdam (1998), K21 Düsseldorf (2014), Bundeskunsthalle Bonn (2017). Sieverding nahm darüber hinaus an der documenta 5, 6, und 7 in Kassel Teil.