Kippenberger, Martin Kulturbäuerin bei der Reparatur ihres Traktors, 1985
Acryl und Plastilin auf Leinwand und Stoff Bildmaß: 180 x 150 cm Courtesy: (c) Estate Martin Kippenberger / Galerie Giesela Capitain, Köln Foto: Archiv Sammlung Viehof

Text zum Werk

"Zu den Errungenschaften der sozialistischen ländlichen Kollektivwirtschaft, in der Abkürzung "Kolchos", zählte die Einführung schwerer Technik, die Feldarbeit und Viehzucht gleichsam kultivierte. "Fordson-Putilowez"-Traktoren mit eisernen Reifen, wie hier mit Hammer und Nieteisen von der Bäuerin repariert, wurden in der Sowjetunion von 1924 bis 1933 nach US-amerikanischen Vorbild produziert. "Frau auf dem Traktor" hieß eine Bewegung, die für Heldinnen der Arbeit warb und zugleich für Fortschritt und Gleichberechtigung stehen sollte.
Der Zynismus dieser Propaganda trifft sich mit Kippenbergers Vorliebe für Irritation und Provokation. Der Künstler bediente sich zu Beginn der 1980er Jahre nicht allein der heute zum Jugendkult avancierten Bildsprache von Agitation und Propaganda des jungen Sowjetrussland. Im Eisenrand des Traktors bricht sich das Licht zum Farbspektrum avagardistischer Maler wie Robert Delaunay. Inmitten kubo-futuristischer Formen erscheint die Traktoristin in einer Blase auf leerer Leinwand. Die Symbole der gesellschaftlichen wie künstlerischen Avantgarde sind gerahmt, rechts von einem schwarzen Streifen. Links wiederholen sich wie auf einem losen Streifen Satzfetzen und Wortreihungen, die einen warmen Sommer und eine frische Brise beschreiben, während die Frau, die Kippenberger "Kulturbäuerin" nennt, in Joppe und Kopftuch arbeitet."

Birgit Dalbajewa, aus: Das neue Albertinum. Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart; Bischoff, Ulrich/ Woelk, Moritz (Hrsg.), Deutscher Kunstverlag 2010, S. 121

Zur Person

geboren 1953 in Dortmund
gestorben 1997 in Wien

Nach einer wegen Drogenkonsums vorzeitig gekündigten Dekorateurslehre, studierte Kippenberger 1972 bis 1976 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Danach zog er nach Florenz und machte 1977 die Bekanntschaft von Künstlern wie Werner Büttner und Albert und Markus Oehlen. Ein Jahr später zog er nach Berlin und richtete dort zusammen mit Gisela Capitain "Kippenbergers Büro" ein - einen Ausstellungsraum für junge Künstler. Ferner organisierte er als Geschäftsführer der Veranstaltungshalle SO36 Konzerte und Events, vor allem für die damalige Punkszene. Nebenher arbeitete Kippenberger weiter als Künstler.
1980 folgte der Versuch, sich in Paris als Schriftsteller zu behaupten, in den folgenden Jahren nahm er an verschiedenen Gruppenausstellungen teil, es entstanden neben Gemeinschaftsarbeiten mit Künstlerkollegen viele eigenen Werke. 1986 fand seine erste umfassende Museumsausstellung "Miete Strom Gas" in Darmstadt statt.
1988 war Kippenberger auf der Biennale in Venedig vertreten. 1990 übernahm er eine Gastprofessur an der Städelschule in Frankfurt und gab ab 1992 Gastvorlesungen an der Yale University und an den Universitäten Nizza, Amsterdam und an der Gesamthochschule Kassel.
Schon 1989 hatte Kippenberger seinen Hauptwohnsitz nach Los Angeles verlegt, wo er mit vielen amerikanischen Künstlern in Kontakt kam und selbst eine umfangreihe zeitgenössische Kunstsammlung anlegte. 1996 erhielt er den Käthe-Kollwitz-Preis und nahm 1997 an der Documenta X in Kassel und an der Ausstellung Skulptur.Projekte in Münster teil. Zusammen mit Candida Höfer wurde Kippenberger auf der 50. Biennale in Venedig in deutschen Pavillon gezeigt.

Das mannigfaltige Oeuvre von Kippenbergers umfasst Malerei, Plastik, Installation, Happenings, Bildhauerei, Fotografie sowie Ausstellungsorganisation und Buchpublikationen und macht Kippenberger damit zu einem der vielseitigsten und produktivsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit. Seine Werke sind den "Neuen Wilden" zuzuordnen, die in der Tradition von Dada und Fluxus den althergebrachten Kunstbegriff unter anderem mit Stilmitteln wie Spott, Zynismus und Provokation demontieren. Gesellschaftliche Normen, der Kunstbestrieb sowie die Entfaltungsmöglichkeiten und Einflussnahme der zeitgenössischen Kunst an sich wurden kritisch hinterfragt. In der Kunstszene galt Kippenberger als Provokateur, ein energiegeladener Rebell, der oft mit lauten Auftritten und Selbstinszenierungen von sich reden machte.